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Lokales

In Lienzingen weihnachtet’s ganzjährig

Saniertes Rathaus in dem Mühlacker Stadtteil ist zur neuen Heimat für Christbaumständer geworden

Dank zeitgemäßer Handwerkskunst erstrahlt das 300 Jahre alte Lienzinger Rathausgebäude heute in neuem Glanz. Fotos: Kollros

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Nach einer umfassenden Sanierung und Restaurierung erscheint das frühere Lienzinger Rathaus in völlig neuem Glanz: Das ziemlich genau 300 Jahre alte Bauwerk hat jetzt auch eine neue Nutzung und beherbergt seit einem Monat das Christbaumständermuseum mit der Präsentation von rund 350 unterschiedlichen Exponaten, der Schenkung einer Sammlerin aus Mannheim.

Rund zweieinhalb Jahre waren die Handwerker seit dem Jahr 2016 zugange. „Ja, es war schon eine Herausforderung“, bestätigt der Dürrmenzer Architekt Hans Fauth, immer wieder seien neue Überraschungen zutage getreten. Holzschäden im Dachstuhl und den Fachwerkfassaden, zudem lockere und teils herausgebrochene Ausfachungen zwischen den Holzbalken und eine veraltete Haustechnik von Elektro bis Sanitär, sehr vieles habe im Argen gelegen.

Von solchen Baumängeln ahnt der Besucher heute nichts mehr – im Gegenteil: der einstige Verwaltungssitz von anno 1719 wurde regelrecht in Neubauzustand versetzt. Und zudem barrierefrei: Die beiden Ausstellungsebenen sind mit einem rollstuhlgerechten Aufzug verbunden, es gibt ein behindertengerechtes WC, und rückwärtig ist das Gebäude von der Kirchenburggasse aus ebenerdig zugänglich.

Dank moderner Medientechnik können sich die Besucher eigenständig über Hintergründe und Geschichte des Weihnachtsfests und der Christbäume als Festrequisit informieren. In allen Räumen befinden sich Bildschirme, über die von Kulturamtsleiterin Johanna Bächle recherchierte Informationen abgerufen werden können. Dazu gehört beispielsweise auch eine Abhandlung über weihnachtliche Bräuche von Soldaten in Schützengräben mit Mini-Bäumchen, von den Familien an die Front geschickt.

Die Sanierung des 300 Jahre alten Gebäudes hatte freilich auch ihren Preis: Auf rund 960 000 Euro bezifferten sich letztlich die Kosten für Bauarbeiten samt Ausstattung, etwa das eigens für diese Ausstellungszwecke konzipierte Regalsystem. Ursprünglich sollte in die Sanierung mal knapp ein Drittel investiert werden. Architekt Hans Fauth verweist in dem Zusammenhang auf die immer wieder neuen „bösen“ Überraschungen, die während der Bauzeit aufgetreten seien. Da das alte Rathaus freilich im Lienzinger Sanierungsgebiet liegt, wird die Stadt auch knapp eine halbe Million Euro Sanierungszuschuss einstreichen können.

Weihnachtliches Flair im alten Lienzinger Rathaus künftig also das ganze Jahr über im deutschland- oder sogar weltweit einzigen Museum dieser Art. Wer durch die vier neu hergerichteten Räume schlendert, der wird fasziniert sein von der immensen Vielfalt der ausgestellten Modelle. Bei intensiverer Betrachtung wird man erkennen, wie liebevoll die verschiedenen Ständer gestaltet sind, bis hin zu den Befestigungsschrauben. Oder man vertieft sich in die Gestaltungselemente, die zum Teil Jugendstil sind, zum Teil Art déco, zum Teil Realismus.

Die Baumständer sind zwar alt, aber nicht altertümlich, maximal etwa 150 Jahre. Sie wurden „erfunden“, als in der Phase zwischen dem deutsch-französischen Krieg (1870/71) und dem ersten Weltkrieg der Christbaum als zentrales weihnachtliches Festrequisit in privaten Wohnstuben immer populärer wurde, wie Johanna Bächle herausgefunden hat. Auch wenn dieser Festschmuck anfangs noch lange ein Luxusartikel gewesen sei.

Gleiches muss für die Ständer gegolten haben. Gerade für die kunstvoll gestalteten Modelle werden die kaufwilligen Familien lange Zeit gespart haben, um etwa einen zu erstehen, der vernickelt oder mit Messing überzogen war, um den Anschein von Silber und Gold zu erwecken.

Neben den eher klassischen Ständern sind auch etliche verspielte und vielleicht auch mal kitschig anmutende Exemplare zu sehen, etwa wenn der Baum von Engeln, Zwergen, Hasen, Vögeln oder auch mal einem Weihnachtsmann gehalten wird. Eine Besonderheit sind auch sogenannte Paradiesgärtlein, da steht der Stamm des Baumes tatsächlich in einem eingezäunten Geviert. In einem Fall glaubt man auch, den Stall von Bethlehem als Weihnachtskrippe und Baumständer zu erkennen.

Die rund 350 ausgestellten Exponate sind ein Teil der über 1200 Exemplaren, welche die Mannheimerin Heidi Schwarz der Stadt Mühlacker zur Verfügung stellte. Sie wollte auf diese Weise das Ergebnis ihrer jahrelangen und bestimmt nicht ganz billigen Sammelleidenschaft der Nachwelt erhalten. Etliche Kommunen interessierten sich für die Sammlung, doch Mühlacker erhielt den Zuschlag. Norbert Kollros
  

INFO

Das Museum an der Friedensstraße in Lienzingen ist jeden Sonntag von 14 bis 17 Uhr geöffnet (über den Winter zeitgleich auch samstags), und sonntags wird immer um 15 Uhr eine Führung angeboten.

Der Eintritt ist frei.

Über die rückwärtig gelegene Kirchenburggasse gibt es zudem einen behindertengerechten Zugang.