Der Verein „plusLeben Individuell Leben mit Pflegegrad e.V.“ möchte dies ändern. Valerie Wolf und Shirley Funke gehören zu den Gründungsmitgliedern und wissen, wovon sie reden. Sie sind mit der Krankheit ihrer Mutter Ingrid Münchinger aufgewachsen. „Eine alternative Wohnform, die ihren Ansprüchen und Bedürfnissen gerecht wird, war schon immer unser Traum“, sagt Valerie Wolf. 1984 wurde bei Ingrid Münchinger Multiple.
Sklerose diagnostiziert. Mittlerweile ist die lebenslustige 66-Jährige auf den Rollstuhl und Unterstützung im Alltag angewiesen, die Pflege zu Hause war irgendwann nicht mehr realisierbar.
Eine Alternative zum Pflegeheim ließ sich aber trotz langer Suche nicht finden. „Pflegeheime sind nicht generell schlecht. Aber gerade für jüngere Bewohner ist das nicht die richtige Wohnform“, sagt Valerie Wolf – und machte aus ihrer Not eine Tugend.
Gemeinsam mit Mutter und Schwester sowie Julian Wolf, Janine Frank, Dr. Erhard Kirschbaum, Katharina Mühleder, Marion Aichele und Ellen Patzschke gründete sie am 19. Dezember 2018 den Verein und schuf im Elternhaus von Ingrid Münchinger die Voraussetzungen für eine Pflege- Wohngemeinschaft. Diese bietet Platz für sieben Bewohner und die Möglichkeit, zusammen zu leben und Unterstützung zu erhalten – ohne auf Privatsphäre und Eigenständigkeit zu verzichten. Eine Alternative zum Pflegeheim für Menschen mit erworbenen Behinderungen, jüngere chronisch Kranke, Querschnittsgelähmte, eben all jene, die auf Unterstützung angewiesen, nicht aber ihre Selbstbestimmung abgeben wollen.
Das 1905 erbaute Haus in der Hindenburgstraße 105 wurde dafür nach den Plänen von Architekt Julian Wolf komplett saniert und barrierefrei umgebaut. Ein Aufzug an der Außenfassade bringt Rollstuhlfahrer und gehbehinderte Menschen in jedes der drei Stockwerke, über eine Rampe geht es zur großzügigen Terrasse mit Zugang zu den Gemeinschaftsräumen. Auf 380 Quadratmetern gibt es eine Wohnküche mit angrenzendem Wohnzimmer, zwei Teeküchen, drei Bäder, ein separates WC sowie einen Keller mit Hauswirtschafts- und Technikraum, viel Abstellfläche, ja sogar einen Wein- und einen Partykeller. Außerdem steht eine Wohnung im Dachgeschoss für Angehörige, Pflegepersonal oder auch für mobilere Bewohner zur Verfügung. Unter der Mitwirkung zahlreicher Handwerker und Firmen sind moderne, helle und freundliche Zimmer entstanden, die aber dennoch den Charme des Altbaus mit seinen alten Dielenböden und verzierten Decken beibehalten haben.
Ingrid Münchinger lebt bereits seit drei Monaten in der WG – in ihrem alten Kinderzimmer. „Hier kann man sich nur wohlfühlen“, sagt sie. Sechs weitere Zimmer warten noch auf ihre Bewohner. Einrichten darf sie jeder nach seinen Wünschen. Denn auch das gehört zur Selbstbestimmung, sagt Valerie Wolf: „Es fängt schon damit an, dass man sich die Wandfarbe aussuchen und seine Möbel mitbringen kann, um sich heimisch zu fühlen.“ Oft sind es Kleinigkeiten, die ein Leben lebenswert machen. „Natürlich geht nicht mehr alles“, weiß Shirley Funke, „aber es ist viel Wert, dass Menschen selbst entscheiden können, wie lange sie schlafen, was sie essen oder ob sie Kaffee oder Kamillentee trinken möchten. Es muss nicht auch noch bei diesen Dingen Einschränkungen geben.“ In ihre Zimmer können sich die Bewohner jederzeit zurückziehen, haben so die Privatsphäre, die in anderen Einrichtungen oft fehlt. Gleichzeitig besteht aber auch die Möglichkeit zu gemeinsamen Aktivitäten in den Gemeinschaftsräumen, in der Kreativwerkstatt, im angrenzenden Garten oder bei einem Besuch im Café Sweet Dreams in der Galerie Schneider.
Aktuell ist plusLeben auf der Suche nach einem Träger oder einer Pflegedienstleitung. „Bislang sind wir eine selbstorganisierte Pflege-WG, aber auf Dauer sollen Profis die Organisation übernehmen“, sagt Shirley Funke.
Das ist der nächste Schritt. Der erste ist gemacht. Durch die Sanierung ist eine Wohlfühloase entstanden für Menschen, die trotz Behinderung ihre Individualität und Mobilität nicht aufgeben wollen.
„Wir möchten Mut machen“, sagt Valerie Wolf und betont: „Eine Behinderung ist nicht das Ende des Lebens.“
Julia Klassen
Tag der offenen Tür am 15. Februar 2020
Am Samstag, 15. Februar, von 10 bis 14 Uhr haben alle Interessierten die Gelegenheit, die Pflege-Wohngemeinschaft im sanierten Wohnhaus in der Hindenburgstraße 105 kennenzulernen und sich über die Arbeit des Vereins „plusLeben – Individuell leben mit Pflegegrad e.V.“ zu informieren.
Wer sich für einen Platz in der Pflege-Wohngemeinschaft interessiert, kann die Verantwortlichen unter Tel. 07041/954318 oder hallo@plusleben-info.de kontaktieren, ebenso wie alle, die den Verein und dessen Anliegen unterstützen möchten. plusLeben freut sich über jeden, der einen Teil zum Gelingen beitragen will – sei es als Mitglied, Spender oder als ehrenamtlicher Helfer.
Weitere Informationen gibt es unter www.plusleben-info.de.
„Das Zukunftsmodell – Die Ambulant betreute Pflegewohngemeinschaft“
Am 15. Februar 2020, 10.30 Uhr hält Michael Blank, der Geschäftsführer des Johanneshaus in Öschelbronn, im Rahmen des Tags der offenen Tür in der Hindenburgstr. 105 einen Fachvortrag zum Thema „Das Zukunftsmodell – Die ambulant betreute Wohngemeinschaft“.
Die Johanneshaus gGmbH hat im September 2018 in Straubenhardt in Kooperation mit der Gemeinde Straubenhardt ebenfalls eine ambulant betreute Wohngemeinschaft eröffnet, die das Angebot der anthroposophischen Einrichtung in Niefern-Öschelbronn ergänzt. Beim Tag der offenen Tür in der Wohngemeinschaft von PlusLeben in Mühlacker wird Michael Blank von seinen Erfahrungen berichten.
Größe und Nutzungsmöglichkeit
• Nutzfläche im Gebäude von 380 qm
• Hoffläche 130 qm
• Garten mit 360 qm
• Kreativwerkstatt mit 140 qm
• Dachgeschosswohnung